RA Thomas Berger befürwortet als Sachverständiger in der öffentlichen Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales das Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz (SokaSiG)
Seit zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.2016 steht der Bestand der Sozialkassen des Baugewerbes in Frage. Die zahlreichen Leistungen der Kassen bei der Urlaubsgewährung, der Altersversorgung und der Finanzierung der Ausbildung sollen nun durch das Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz (SokaSiG) abgesichert werden.
Was ist die SOKA Bau?
Die SOKA Bau ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifpartner IG BAU und der Arbeitgeberverbände des Baugewerbes. Schon kurz nach 1945 verständigten sich die zuständigen Tarifparteien auf ihre gemeinsame Einrichtung, die für typische Probleme der Bauwirtschaft, wie kurze Beschäftigungszeiten oder regelmäßige Arbeitsausfälle in den Wintermonaten, Lösungen finden sollte. Die SOKA Bau beinhaltet seit 1949 die gemeinsame Urlaubskasse (später ULAK). 1957 kam die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK) hinzu.
Ca. 700.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, 35.000 Auszubildende und 370.000 Rentnerinnen und Rentner nehmen Leistungen der SOKA Bau in Anspruch. Auch die Unternehmen selbst profitieren von ihren Leistungen. Den größten Anteil stellt das Urlaubskassenverfahren der ULAK dar. Diese erstattet den Arbeitgebern die Kosten für die Zahlung von Urlaubsvergütung der Arbeitnehmer. Der Beitrag, den Arbeitgeber zur Finanzierung der SOKA Bau entrichten müssen, beträgt für gewerbliche Arbeitnehmer 20,4 % in den alten Bundesländern und 17,2 % in den neuen Bundesländern.
Bisher wurden die Tarifverträge des Baugewerbes durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales stets für allgemeinverbindlich erklärt, um eine umfassende Gewährung der Leistungen in der Baubranche sicherzustellen – unabhängig von der Tarifbindung der jeweiligen Arbeitgeber.
Was hat das BAG entschieden?
Das Bundesarbeitsgericht hat mit zwei Beschlüssen im September 2016 die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) aus den Jahren 2008 bis 2011 und 2014 gemäß § 98 Abs. 4 ArbGG festgestellt (BAG, Beschluss vom 21.09.2016 – 10 ABR 33/15 und 10 ABR 48/15). Gegen die Allgemeinverbindlicherklärung hatten sich vor allem nicht tarifgebundene Arbeitgeber gewendet. Die Beschlüsse haben zur Folge, dass es keine Rechtsgrundlage für die Einziehung von Beiträgen zur SOKA Bau gegenüber nicht tarifgebundenen Arbeitgebern gibt. Die Entscheidung des BAG für die Allgemeinverbindlicherklärungen der Jahre 2012 und 2013 ist für den 25.01.2017 terminiert.
Woran ist die Allgemeinverbindlicherklärung gescheitert?
Das BAG begründete die Entscheidungen damit, dass es an der notwendigen Befassung des/der jeweiligen Bundesministers/in für Arbeit und Soziales bzw. zumindest des parlamentarischen Staatssekretärs als politischem Beamten gefehlt habe. Dadurch seien die Allgemeinverbindlicherklärungen nicht ausreichend demokratisch legitimiert. Zudem habe das BMAS die Berechnungsgrundlage, ob das für die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG a.F. erforderliche 50 %-Quorum erfüllt wurde, nicht richtig ermittelt.
Welche Auswirkungen haben die BAG-Entscheidungen?
Die an den Sozialkassen beteiligten Tarifpartner fürchten nun, dass die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber die Rückerstattung ihrer Beiträge aus den Jahren 2008 bis 2014 verlangen werden und die SOKA Bau dafür wirtschaftlich nicht gerüstet ist. Bereits kurz nach dem Bekanntwerden der BAG-Entscheidungen haben die Fraktionen von SPD und CDU/CSU einen in Zusammenarbeit mit dem BMAS ausgearbeiteten Entwurf für ein Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz (SokaSiG) ins Parlament eingebracht. Dabei wurde Rechtsanwalt Thomas Berger von BGHP als Sachverständiger für die öffentliche Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales am 23.01.2017 benannt.
Welches Ziel verfolgt das SokaSiG?
Das SokaSiG ist darauf gerichtet, die Beitragspflicht in den Jahren 2008 bis 2014 für alle Arbeitgeber abzusichern. Dazu nimmt es die tariflichen Regelungen der betroffenen Jahre in Bezug und ordnet ihre Wirkung gesetzlich an.
Dadurch ergeben sich verfassungsrechtliche Bedenken, die nach Ansicht von Rechtsanwalt Berger allerdings einer genaueren Betrachtung nicht Stand halten:
Die Rückwirkung von Gesetzen auf einen in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Sachverhalt ist aufgrund von Vertrauensschutz und Rechtssicherheit grundsätzlich nicht erlaubt. In seiner Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht einige wenige Ausnahmen davon zugelassen. Ein nicht schutzwürdiges Vertrauen liegt danach vor, wenn die Betroffenen nicht auf den Fortbestand der Rechtslage vertrauen durften und mit einer Änderung rechnen mussten. Das kann angenommen werden,
– wenn die Rechtslage unklar und verworren und mit einer Klärung zu rechnen war,
– das bisherige Recht systemwidrig und unbillig war, sodass Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
bestanden oder
– überragende Gründe des Gemeinwohls vorlagen, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen und
eine rückwirkende Beseitigung erfordern.
Kein Vertrauensschutz für Arbeitgeber
Das Vertrauen von nicht tarifgebundenen Arbeitgebern darauf, ihre Beiträge nicht entrichten zu müssen, ist nicht schutzwürdig. Bis zum Urteil des BAG am 21.09.2016 hatten die obersten Gerichte, das Bundesverfassungsgericht und sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, die Klagen gegen das Sozialkassenverfahren stets abgewiesen und die Wirksamkeit früherer Allgemeinverbindlicherklärungen bestätigt. Der Gesetzgeber wiederum hatte bereits durch das Tarifautonomiestärkungsgesetz im Jahr 2014 die Allgemeinverbindlicherklärung reformiert und die Voraussetzungen dafür erleichtert und an die gemeinsamen Einrichtungen von Tarifparteien angepasst. Die Arbeitgeber mussten also damit rechnen, dass der Gesetzgeber notfalls rückwirkend die Sozialkassen gesetzlich absichern würde.
Außerdem kann die Rückwirkung auch durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden. Zahlreiche Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind auf das System der Sozialkassen angewiesen. Die Gesellschaft würde etliche Nachteile auffangen müssen, wenn das System der Urlaubskassen zusammenbräche und die Rentenansprüche vieler Arbeitnehmer im Baugewerbe könnten verloren gingen. Die Sicherung der stabilen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Situation abhängig Beschäftigter ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein „hervorragend wichtiges Gemeinschaftsgut“.
Kritik am System der SOKA Bau
Das System der SOKA Bau begegnet in der Rechtspraxis zahlreichen Einwänden. Kritisiert wird, dass der Geltungsbereich mangelhaft abgegrenzt würde und damit auch Unternehmen miteinschließt, die im Baunebengewerbe tätig sind. Zudem wurde im Jahr 2015 ein Sockelbetrag von 900,- € für Soloselbstständige eingeführt.
Mögliche Verbesserungen lassen sich allerdings im Gesetzgebungsverfahren zum SokaSiG nicht vornehmen. Das Rückwirkungsverbot steht Regelungen im Weg, die in ein durchgeführtes Verfahren eingreifen, in das alle Beteiligten vertraut haben. Zudem hat der Gesetzgeber letztlich keine Befugnis, Regelungen zu treffen, die in Ausübung der Tarifautonomie entstanden sind. Verbesserungen am System SOKA Bau obliegen daher allein den Tarifpartnern.
Die vollständige schriftliche Stellungnahme von Rechtsanwalt Thomas Berger kann auf der Seite des Ausschusses für Arbeit und Soziales nachgelesen werden.
Benedikt Rüdesheim, LL.M., Januar 2017
Berger Groß Höhmann & Partner Rechtsanwälte
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